Heute brachte Professor Caprese ein leeres Marmeladenglas mit, das mit einem Aufkleber versehen war. Was darauf stand, wollte er mir noch nicht sagen.
»Zuerst möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Ein Ingenieur, der aus Umbrien stammte, nennen wir ihn Luca, arbeitete einige Jahre in Finnland in einem Wasserkraftwerk. Es gefiel ihm gut. Die Arbeit machte ihm Spaß. Aber er hatte auch Heimweh. Ganz starkes Heimweh. Sie wissen schon.« Er schaute mich fragend an. Ich nickte.
»Also, Luca hielt das Heimweh nicht mehr aus und ging zum Arzt. Der gab ihm den ungewöhnlichen Rat, bei jedem Umbrienbesuch ausreichend leere Marmeladengläser dabei zu haben. Immer wenn ein schöner Moment da war, sollte er eines der Gläser aufschrauben, den Duft auffangen, sich das Gefühl dazu merken, das Glas schnell wieder zuschrauben und beschriften. Diese Gläser solle er mitnehmen nach Finnland. In Zeiten starken Heimwehs solle er eines der Gläser öffnen und sich mit dem Duft an den Moment erinnern.«
Der Professor stoppte, erzählte nicht weiter.
»Warum erzählen Sie die Geschichte nicht weiter?«
Er zeigte mir die Beschriftung des Marmeladenglases, das er mitgebracht hatte. Darauf stand: 18. Juli 2019. Nusskuchen und Espresso mit Herrn Grün. Wundervoll.
Er schraubte das Glas auf und hielt es mir hin. Ich konnte nichts riechen. Kein Duft von Kuchen und Espresso.
»Nichts.« Ich schüttelte den Kopf.
Er verabschiedete sich.
Ich dachte lange darüber nach und hatte eine Lösung. Man musste ein Essen zu einer Stimmung kochen. Das war die Lösung. Würde man es wieder kochen, wären auch die Erinnerungen da.
Heute habe ich Auberginen-Involtini mit frischem Salbei zubereitet. Ich hatte dieses Gefühl, den Sommer festhalten zu müssen. Kennen Sie dieses Gefühl?
…
Im Ofen gerösteter Romanesco mit Kreuzkümmelöl, Tortelloni und geschmorte Tomaten mit frischem Rosmarin und Zwiebeln
Jahrelang sah ich von Weitem den Romanesco. Irgendetwas tief in mir dachte: »Der ist so schön. Er kann gar nicht schmecken. Dekoration.«
Das war aber eine Fehleinschätzung. Denn jetzt habe ich mit ihm gekocht und halte ihn für unterschätzt. Ich gehe weiter und sage: Der Romanesco ist nicht nur schön, er ist auch eine Delikatesse. Ein grüner Goldschatz.
Das Aroma erdig, mild kohlig – selbst wenn man ihn röstet – wie in meinem Rezept.
Ich habe dieses Gericht zweimal gekocht. Einmal mit einem größeren Romanesco vom Hamburger Isemarkt (von einem wirklich guten Gemüsestand) und einmal zwei lütte BIO-Romanesco von einem BIO-Markt.
Der Bio-Romanesco war von einer unglaublichen Qualität.
Ach, lieber Romanesco. Ich mag dich jetzt sehr. Tut mir leid, dass ich dich nicht richtig eingeschätzt habe.
…
Vegetarische Frikadellen mit Luigioni, Pilzrahmsauce und Rucola-Salat
In den letzten Tagen hatte mich der Professor nicht im Kochlabor besucht.
Ich vermisste ihn etwas. Schließlich rief ich ihn an.
»Ich habe leider keine Zeit. Ich entwickle eine neuen Pastavariante. Eine Weltneuheit.« Er tat sehr geheimnisvoll. Wollte nicht mehr verraten. »Bald stelle ich sie Ihnen vor. Sie werden staunen.«
Gestern kam er zum Nachmittagskaffee. Die neue Nudelvariante hatte er auch dabei. Eigentlich nur zwei Exemplare – in einem Schraubglas. Er legte sie vorsichtig auf den Tisch.
Ich staunte wirklich. Denn die Nudeln sahen aus wie große, etwas unförmige Fusilli und waren eigentlich Fusilloni – also so heißen sie. Ich kannte sie.
»Ich nenne sie Luigioni«, flüsterte er. Bitte erzählen Sie niemanden davon. Alles ist noch sehr geheim.« Er betrachtete stolz seine Kreation.
Mir war nicht klar, wie ich es ihm beibringen sollte.
Er gab mir das Rezept und die Beschreibung, wie vorzugehen war bei der Herstellung der neuen Luigioni. Er hatte alles auf einen Zettel geschrieben – mit Zeichnungen.
Heute gab es also im Kochlabor: »Vegetarische Frikadellen mit Luigioni, Pilzrahmsauce und Rucola-Salat«.
Der Professor war begeistert und sichtlich gerührt. Lobte vielmals, wie schön ich die Form seiner Luigioni getroffen hatte.
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