Olli und der Weihnachtsmann, den niemand kannte
»Kennen Sie eigentlich eine Weihnachtsgeschichte?« Der Professor blinzelte etwas, nahm sich noch ein Stück Gewürzkuchen und schaute mich fragend an.
»Ja. Ich kenne so gar eine, die niemand kennt. Es ist die Geschichte von Olli, der eines Tages im Keller einen Weihnachtsmann fand, der ganz dünn war. So dünn wie ein Blatt Papier. Und rot war er auch nicht. Schwarz-weiß. Also ohne Farbe. Eigentlich.« Ich räusperte mich etwas. Die Geschichte entfaltete sich vor mir.
»Wo wohnt denn dieser Olli?« Caprese zeigte Interesse. Setzte sich gerade hin. Schenkte mir einen Espresso ein.
»Na, ich denke, er wohnt in…ähm…Hamburg. Altona. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher.«
Der Professor nickte.
»Olli entdeckte diesen Weihnachtsmann, als er am 24. Dezember morgens in den Keller ging. Der lehnte an der Wand – lag halb auf dem Boden. Er sah jämmerlich aus. Und jammerte auch. Sehr leise.
»Wer bist du denn?«, fragte Olli.
»Ich bin der Weihnachtsmann, den niemand kennt.« Man konnte ihn kaum verstehen.
»Seit wann liegst du hier unten im Keller?«
Der Weihnachtsmann hatte kaum Kraft zu antworten.
»Ich glaube, seit vielen Jahren.« Ihm war es sichtlich peinlich.
Olli hob den Weihnachtsmann vorsichtig auf und trug ihn in sein Zimmer. Er hatte eine Ahnung, was dem Weihnachtsmann fehlte.
Nachmittags zog er Regenkleidung an – denn in Altona regnet es sogar im Winter. An dieser Stelle nickte der Professor zustimmend, also wegen des Hamburger Wetters – aber das ist eine andere Geschichte.
Olli zog also seine Regenkleidung an, legte den Weihnachtsmann vorsichtig in seine Sporttasche und ging los. Er stieg in einen Bus, um zu seiner Omi nach Eimsbüttel zu fahren. Im Bus nahm er den Weihnachtsmann aus der Sporttasche und legte ihn ganz vorsichtig über die Vorderlehne.
In der Nähe saß ein Kapitän.
»Ein Kapitän. Ein echter Kapitän?« Der Professor versuchte mich zu necken. Seine Mundwinkel zuckten etwas. Das kannte ich schon.
»Hamburg ist ja schließlich eine Hafenstadt.« Ich ließ mich nicht ablenken und setzte mit der Geschichte fort.
Der Kapitän schaute den Weihnachtsmann und wusste gleich was los war. Er lachte mit seinem Kapitänslachen und berührte den Weihnachtsmann ganz vorsichtig an einem seiner Füße. Der Weihnachtsmann kicherte etwas. Und wurde rot dabei.
Später, als Olli bei seiner Großmutter war, kochte diese Kakao mit Schlagsahne und streute noch etwas Schokostreusel über die Sahne. Das half immer. Olli liebte diesen Kakao.
»Du Omi, ihn kennt niemand«, flüsterte er ihr zu. Sie nickte. Stupste den Weihnachtsmann etwas an. Der wurde rot, weil er merkte, dass Ollis Omi ihn mochte.
Als Olli sich verabschiedete und den Weihnachtsmann in die Sporttasche stecken wollte, ging das schon nicht mehr. Der Weihnachtsmann ließ sich nicht mehr rollen und: Er war jetzt ganz rot. Strahlend rot. Und er redete und redete. Hatte viel zu erzählen. Das fiel auch dem nächsten Busfahrer auf. Der wollte aber kein Fahrgeld für den Weihnachtsmann, weil es auch keine Regel für so einen Fall gab.
Olli fuhr zu seiner Schulfreundin Klara, die am Ende der großen Elbstraße über einem Gemüsegeschäft wohnte. Ihre Eltern waren nämlich Gemüsehändler.
Klara war schlau. Das konnte man nicht nur an der Brille erkennen, sondern auch an ihren vielen Büchern, in denen sie alles notierte, was sie erlebt hatte. Sie suchte in den Büchern, fand aber nichts zu einem Weihnachtsmann, den niemand kannte. Sie lachte und meinte: »Ist ja auch egal. Irgendwann ist immer das erste Mal.« Sie aßen Baumkuchen und rote Grütze. Und Klara staunte, wie groß der Weihnachtsmann in der kurzen Zeit geworden war. Und das stimmte. Er war jetzt schon einsfünfzig groß und auch etwas pummelig. Das sah ziemlich lustig aus. Klara berührte mit ihrem Zeigefinger seine knubbelige Nase, und er wurde verlegen.
Als Olli mit dem Weihnachtsmann weiterzog, um seinen Freund Karl in der Speicherstadt zu besuchen, war dieser mittlerweile über zwei Meter hoch und leuchtete so stark, dass man ihn schon von weitem sehen konnte. Außerdem passte der Weihnachtsmann nicht mehr durch die Haustür von Karls Eltern und musste draußen warten.
Olli war aufgeregt. Wie sollte das hier weitergehen.
Als er mit dem Weihnachtsmann durch die Innenstadt nach Hause gehen wollte, blieben viele Menschen stehen und machten Fotos von dem Weihnachtsmann. In der Ferne hörte man ein Feuerwehrauto, das immer näher zu kommen schien. Olli wurde schwindlig von alle den Menschen, dem vielen Kakao, den er getrunken hatte und auch von dem Weihnachtsmann, der so unglaublich rot wahr. Der beugte sich über ihn und sagte: »Danke Olli.« Dann war er weg. Nicht mehr zu sehen. Die Menschen gingen weiter, als sei nichts geschehen.
»Huh, das ist aber ganz schön aufregend. Hat Olli den Weihnachtsmann noch einmal wieder gesehen?« Der Professor hatte rote Wangen und schien sogar etwas aufgeregt.
»Nein. Nie wieder. Manchmal, an Weihnachten, schaute er auch nochmal im Keller nach. Einmal hörte er sogar ein Geräusch. Aber da war nichts.«
Wenn ihr mal einen Weihnachtsmann findet, den niemand kennt, dann nehmt ihn mit. Das hilft.
Es hilft übrigens auch manchmal bei Menschen:-)
Ihnen allen wunderschöne Weihnachten – von Professor Caprese, Luigi und mir – Herrn Grün:-)
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