Heute wird im Kochlabor gedünstet, abgelöscht, gewürzt, gekugelt, zerbröselt und gehackt.
Beim Kochen nehmen die Dinge ihren Lauf. Die Hitze setzt Aromen frei. Das Kochlabor atmet.
Das Gemüse ringt beim Reduzieren zunehmend um Flüssigkeit und konzentriert sich auf das Wesentliche.
Professor Caprese hat den Duft gerochen. Er erscheint am Nachbarfenster. Ruft was. Später – denn jetzt wird gekocht.
Aber irgendwann an diesem Tag, und das ist sicher, sitzen wir alle zusammen. Essen, genießen und erzählen uns Geschichten.
…
Möhrenkuchen mit Möhrenkrokant
»Die ersten Bundmöhrchen sind besonders zart. Sie stammen aus dem Treibhaus. Man muss sie nicht schälen – nur bürsten und waschen. Ihr Grün kann man auch essen. Aber dazu später. Kommen wir nun zu den Wasch- und den Lagermöhren.«
Herr Josele betätigte den Knopf an der Seite des Diaprojektors und gab gleichzeitig dem Dia-Schlitten einen leichten Schubs. Das Gerät stammte aus den 70ern. Er hatte es auf einem Flohmarkt erstanden und war fasziniert. Jede Überredung zu einem komfortableren, tragbaren Computer war zwecklos. »Das Licht. Ich kann die Dias gegen das Licht halten. Die Motive sehen jedes Mal anders aus.«
Er war etwas aufgeregt. Wir hatten überall Zettel ausgehängt und viele waren gekommen. Das Kochlabor war gut besucht. Herr Joseles Vorträge waren legendär. Über den Dynamo, die erste U-Bahn, das unglaubliche Paris oder wie Ameisen miteinander kommunizieren – es war immer spannend, die Fotos grandios. Ich hatte, zum Anlass passend, Möhrenkuchen gebacken. Als besondere Überraschung gab es Möhrenkrokant – ein Experiment der letzten Tage.
Herr Josele hob und senkte die Stimme. Der Dia-Schlitten knarzte. Kurze Dunkelheit. Ein Querschnitt durch eine violette Möhre – der Ur-Möhre. Raunen.
…
Herbstsalat mit Estragon-Pflaumen-Essig
Heute traf ich Frau Plötzenhoff und Herrn Josele auf dem Wochenmarkt. Das war eine Freude. Ich hatte die beiden schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr gesehen.
»Wir waren in Patagonien. Ganz lange.« Sie strahlten. Uih. Da hatte sich wohl was angebahnt, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich entschuldigte mich für meine mangelnde Aufmerksamkeit.
»Das macht doch nichts. Sie sind immer so in Ihre Kochrezepte vertieft.« Frau Plötzenhoff – ich erkannte sie nicht wieder. Sie überreichte mir eine Tüte. »Alles aus Patagonien.« Dann verabschiedeten sie sich sehr eilig.
Zu Hause angekommen, schaute ich in die Tüte: Avocados, Orangen, Walnüsse, Birnen, Roséchampignons, Ziegenkäse, eine Tüte Cranberries und ein Zettel. »Wir wünschen uns einen Herbstsalat und freuen uns auf ein gemeinsames Essen. Gleich heute Abend. Für Wein ist gesorgt.« Unterschrieben hatten sie beide. Ich nahm ein nie gelesenes Buch aus dem Regal: »In Patagonien. Reise in ein fernes Land« von Bruce Chatwin und bereitete mich vor.
…